„Du hast’s ja“

Du hast’s ja

„Du hast’s ja.“ Sagt die Kollegin aus dem Vereinsvorstand zu mir, als es darum ging, 2041 € für den Verein vorzustrecken. Meine Augenbrauen bewegten sich Richtung Scheitel. „Naja, mit zwei Firmen…“

Ich verstand. Wer selbstständig ist, noch dazu mit zwei (in Worten: ZWEI) „Firmen“ muss ja Geld haben. Denkt man gemeinhin so.
Mir fiel dann ein, dass mir eigentlich von Anfang an klar war, dass Selbstständigkeit nicht zwingend Geldregen bedeutet. Als ich vor 25 Jahren in die Selbstständigkeit startete, war da schlichtweg nix mit großem Geld. Ich war Freie für eine Tageszeitung. Das heißt: Stundenlang rumwurschteln für mieses Zeilenhonorar. Damals gab es noch keine Mindestlohn, aber der wurde definitiv um ein Vielfaches unterschritten. Zu der Zeit war ich Schülerin/Studentin, da war jedes Geld recht.

Dann das Volontariatsgehalt (Halleluja! Vierstellig!), dann – ZACK – selbstständig. Drei Anzeigenblätter allein redaktionell bedienen, inklusive Redaktion, Blattmache und Sonderseiten – mon Chère, das war Action pur. Wie eine Krake habe ich an den Produktionstagen Inhalte reingeschaufelt. Mit der großen Schippe. Nicht schön, aber lukrativ. Der Preis: An manchen Tagen war ich 4 Stunden zuhause, bevor ich wieder am Rechner saß.
Nach einem Jahr war das Bankkonto voll und ich ging.

Gut ein Jahr lang geschah dann nix. Ich war von Marburg ins Rheinland gezogen und hatte keine Kunden. Wie auch? Die Oberhessische Presse war in Marburg geblieben.
Ich probierte dies (Werbung schalten), probiert das (Flyer austeilen). Mit mäßigem Erfolg. Ich habe mal 40 Groschenheftchen aus den 60er Jahren für eine Neuauflage in neue Rechtschreibung gebracht, was mich zu Erkenntnis brachte, dass ich eine miese Lektorin bin, weil mich langsames Lesen irre macht. Ich übersetzte auch mal ein ganzes Buch über Panama für eine Webseite. Das Honorar dafür? Rund 2 € pro Stunde. Ich habe auch hirnlose SEO-Texte geschrieben als die Suchmaschinen das noch cool fanden. Das wird ähnlich mies bezahlt wie Zeilenhonorar. Apropos: Bei der NGZ und der WZ fand ich eine neue Heimat und sehr nette Kolleginnen in den Redaktionen – leben konnte man auch davon nicht. 80 Euro Tageshonorar – ich bitte euch.

2009 ging es erst los mit Aufträgen, bei denen ICH das Angebot machte. Pressearbeit und Blogbeiträge schreiben (als Ghostwriter) wurde zu meinem Hauptgeschäft.
Die Zeiten, in denen jeder Groschen ein mühsam verdientes Puzzlestück zum Überleben war, die sind glücklicherweise vorbei.
Aber ich weiß, dass es nur einen kleinen Schubs braucht von Hero zu Zero.
Fazit: Meine Vereinskollegin hat also Recht. Ich hab‘s ja. Und zwar das Risiko, aber auch die Flexibilität.

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